Frankfurt (ots) –
Schweden wurde 2023 mit einer Raucher:innenquote von unter fünf Prozent zum ersten rauchfreien Land in der Europäischen Union, Großbritannien will mit einer ähnlichen Quote ebenfalls bis 2030 rauchfrei sein und verteilt dafür u.a. eine Millionen E-Zigaretten an starke Raucher:innen, um sie in ihrer Tabakentwöhnung zu unterstützen. Und Deutschland? Verharrt weiterhin bei einer Raucher:innenquote von 34 Prozent – eine rekordverdächtig schlechte Bilanz bei der Tabakprävention. Deutschland sei Schlusslicht im Bereich Nichtraucher:innenschutz und Tabakkontrolle, konstatierte jüngst auch die WHO.
Am 18.10.2023 kamen deshalb in Frankfurt zahlreiche Expert:innen zusammen, um die Potenziale risikoreduzierter Rauchalternativen und die Erfolgsaussichten des sog. Tobacco Harm Reduction-Ansatzes zu diskutieren. Die Fachtagung „Tobacco Harm Reduction – Innovative Rauchentwöhnungsstrategien“ suchte dabei Antworten auf die Frage, wie Deutschland nach internationalem Vorbild zu einem rauchfreien Land werden kann.
„Kurz gesagt: In Deutschland stehen wir in Sachen Tabakkontrolle auf Entwicklungsland-Niveau. Unsere Politik basiert zu wenig auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und es fehlt an klaren Zielen. Ich bin der Meinung, dass wir die Vielfalt der Gesellschaft in unseren Rauchentwöhnungsstrategien berücksichtigen müssen. Eine Einheitslösung ist hier nicht ausreichend. Trotz ihres schlechten Rufs können E-Zigaretten, Nikotinpouches und Tabakerhitzer bei der Rauchentwöhnung helfen – wir brauchen dringend eine sachliche Aufklärung und angemessene Ressourcen“, erklärte Organisator Prof. Dr. Heino Stöver zu Beginn der Fachtagung.
Die wichtigsten Erkenntnisse der Fachtagung im Überblick:
In seinem Grußwort machte Dr. Artur Schroers, Drogenbeauftragter der Stadt Frankfurt deutlich, dass sich der viel zitierte „Frankfurter Weg“ in der Drogen- und Suchtarbeit durchaus auf den Bereich Tabak übertragen ließe. „Akzeptanz und attraktive Alternativen sind bei allen Maßnahmen der Prävention entscheidend. Das gilt bei harten Drogen wie Crack und Heroin genau wie beim Tabak.“
Dr. Bernd Werse, Soziologe und leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centre for Drug Research an der Goethe-Universität Frankfurt, stellte die Ergebnisse der RauS-Studie vor und beantwortete die Frage, was Paient:innen wirklich bei der Rauchentwöhnung helfe folgendermaßen: „93 Prozent der Befragten haben bereits versucht, von der Zigarette loszukommen. Neben E-Zigaretten gaben die Befragten die eigene Willenskraft als wichtigstes Mittel im Kampf gegen die Tabakzigarette an.“
Prof. Dr. Bernd Mayer vom Institut für Pharmazeutische Wissenschaft an der Universität Graz machte in seinem Vortrag auf die Inkonsistenzen der deutschen und österreichischen Tabakregulierung aufmerksam: „Strikte Rauchergesetze senken die Raucherquote nicht. Ein Raucher soll mit dem Argument, dass Nikotin schädlich sei, vom Umstieg von der Zigarette auf die E-Zigarette abgehalten werden. Gleichzeitig geben wir Nikotin in Form von Sprays und Pflastern in Apotheken bereits an 12-Jährige ab.“ Mit Blick auf das de-facto-Verbot von Nikotinpouches in Deutschland sagte Mayer: „Man verbietet alles, was weniger schädlich als die Zigarette ist“.
Dr. Leonie Brose vom King’s College London, betonte mit Blick auf England, dass die dortige Regierung ihr Ziel, bis 2030 ein rauchfreies Vereinigtes Königreich zu haben, ernst meine. E-Zigaretten seien dabei mittlerweile ein elaboriertes Mittel. Was sich an Initiativen wie Swap-to-Stop, bei der kostenlose E-Zigaretten an starke Raucher:innen verteilt würden, zeige. „Die Regierung in England pflegt eine sehr enge Beziehung zur Wissenschaft, was sich daran zeigt, dass Vorschläge im Bereich Tobacco Harm Reduction auch umgesetzt und die entsprechenden Mittel zur Verfügung gestellt werden. Mit einer Raucher:innenquote von 12,9 Prozent, liegt England auch bei weniger als der Hälfte der Raucher:innenquote in Deutschland.“
Dietmar Jazbinsek, freier Journalist, beschäftigte sich mit den neuseeländischen Plänen einer ersten rauchfreien Generation: „Neuseeland hat sich, anders als Deutschland, immer darum bemüht, die Raucher:innenquote zu senken, egal welche Partei an der Regierung war.“
Prof. Dr. Martin Storck, Direktor der Klinik für Gefäß- und Thoraxchirurgie am Städtischen Klinikum Karlsruhe sagte: „Dual Use, also das Ersetzen einer gewissen Menge Zigaretten durch die E-Zigarette, führt zu keiner Erhöhung des Schadens. Jede nicht gerauchte Zigarette ist ein Gewinn.“ Aus der Praxis berichtete er, dass sich auch Patient:innen, die nicht vorhaben das Rauchen aufzugeben, durch E-Zigaretten zu einem Umdenken und der Reduktion des Konsums bewegen ließen. „Dual User:innen weisen eine erhebliche Verringerung des Zigarettenkonsums und damit auch der gesundheitlichen Folgen auf.“, so Storck weiter.
Organisator Prof. Dr. Heino Stöver, ordnete Schwedens Raucher:innenquote von unter fünf Prozent ein und erklärte, wie es gelingen konnte, die Tabakzigarette zu verdrängen: „Durch Snus und Nikotinpouches ist es Schweden gelungen, die Raucher:innenquote unter 5 Prozent zu drücken. Das Land gilt damit als rauchfrei. Schweden ist damit das beste Beispiel dafür, dass ein weniger schädliches Nikotinprodukt Leben rettet.“
Postdoc Dr. Fabian Steinmetz als Eurotot-zertifizierter Toxikologie und Consultant bei Delphic HSE, behandelte in seinem Vortrag gängige Mythen über Aromen in E-Zigaretten: „Es gibt durch Lebensmittel ein deutlich größeres Expositionspotenzial für Aromen als durch E-Zigaretten.“ Ein Verbot von Aromen, wie es derzeit teilweise von der Politik diskutiert wird, lehnte er ab. „Aromen sind überall verfügbar. Ein Verbot würde die Leute dazu bringen, sich ihre Geschmäcker selber zu mischen und da wird es dann wirklich gefährlich.“
Larissa Steimle, Doktorandin am ISFF, behandelte die Gefahren durch sog. Einweg-E-Zigaretten: „Der Verkauf außerhalb des Fachhandels ist eine Gefahr. Die Bußgelder für Verstöße stehen in keinem Verhältnis zur Marge. Wir brauchen eine Verschärfung der Regeln für Betreiber von Onlineshops, eine Durchsetzung des Werbeverbots in sozialen Medien und eine Verschärfung der Verpackungsregelungen.“
Organisator Prof. Dr. Heino Stöver bezeichnete das mit führenden Expert:innen besetzte Online-Symposium als vollen Erfolg und kündigte für das kommende Jahr bereits eine Fortsetzung der wissenschaftlichen Veranstaltungsreihe an.
Ausschnitte des Symposiums sind in den nächsten Tagen auf dem YouTube-Kanal (https://www.youtube.com/channel/UC-Kcgvz8dNU7cTrxP0Mhqqw) von Prof. Dr. Heino Stöver zu finden.
Zum ISFF
Das Institut für Suchtforschung (ISFF) an der Frankfurt University of Applied Sciences wurde 1997 ins Leben gerufen von Prof. Dr. Volker Happel, Prof. Dr. Dieter Henkel und Prof. Dr. Irmgard Vogt. Es sieht seine Aufgabe darin, Sucht in ihren verschiedenen Erscheinungsformen sowie die mit Sucht in Zusammenhang stehenden Probleme und Aspekte zu erforschen. Das Institut fördert den Ausbau von interdisziplinären Beziehungen zu Kooperationspartnern auf regionaler, nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Forschungsprozesse und -resultate sollen in Lehre und Studium Berücksichtigung finden und nutzbar gemacht werden.
Seit dem Sommersemester 2009 ist Prof. Dr. Heino Stöver Professor (https://www.frankfurt-university.de/de/hochschule/fachbereich-4-soziale-arbeit-gesundheit/kontakt/professor-innen/heino-stover/) an der Frankfurt UAS (ehemals FH FFM), Fachbereich 4 – Soziale Arbeit und Gesundheit (Schwerpunkt Sozialwissenschaftliche Suchtforschung) und seit 1. September 2009 geschäftsführender Direktor des ISFF.
Pressekontakt:
Frankfurt University of Applied Sciences
Fachbereich 4: Soziale Arbeit und Gesundheit
Prof. Dr. Heino Stöver
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Quelle: ots