Berlin (ots) –
Die Ampel kreißte und gebar: ein Ungetüm. Mit dem vom Bundeskabinett abgesegneten Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) soll die Grundlage für das umstrittene Lieblingsprojekt von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geschaffen werden, seine Krankenhausreform. Gern bezeichnet der Minister sie als „Revolution“. Dagegen rührt sich Widerstand. „Und der wird nun größer“, sagt der Experte für Gesundheitspolitik Frank Rudolph. Der Geschäftsführer des Bundesverbandes Verrechnungsstellen Gesundheit e.V. (BVVG) und 1. Stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitspolitischen Arbeitskreises der CDU NRW wirft Lauterbach vor, riskante Experimente mit der medizinischen Versorgung der Bevölkerung in Deutschland anzustellen.
Revolution im Blindflug – Könnte ein Gesundheitsgipfel noch etwas retten?
Von Frank Rudolph
„Revolutionen sind die Lokomotiven der Geschichte“, befand einst Karl Marx. Rund 175 Jahre danach möchte Marx‘ Vornamensvetter Karl Lauterbach gern eine solche Lokomotive unter Dampf setzen. Dafür hat das Ampelkabinett – mit erheblicher Verspätung – die Weichen gestellt. Der Minister sieht sich nun vermutlich auf bestem Wege, als gesundheitspolitischer Revolutionär in die Geschichte einzugehen. Derweil wächst der Widerstand gegen etliche Teile des Projekts – und gegen die Art und Weise, in der Lauterbach es durchsetzen will. Kein Wunder: Sein Vorgehen erinnert weniger an eine Lokomotive, als eine Dampfwalze. „Ohne sich über die konkreten Folgen für die Versorgung vor Ort klar zu sein, plant die Bundesregierung im Alleingang den Umbau auf Kosten der Länder und Versicherten“, kritisierte der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Tino Sorge. So nehme die Ampelkoalition „bleibende Schäden der Krankenhauslandschaft in Kauf“.
Warnungen und Kritik stoßen bei der Ampel auf eine Mauer der Ignoranz
Klinikbetreiber, Ärzteverbände, Krankenkassen, Patientenvertreter und Gesundheitspolitiker der Opposition sowie der Länder hatten die Bundesregierung aufgefordert, dem KHVVG-Entwurf nicht zuzustimmen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) will die EU-Kommission um Prüfung bitten, ob das geplante Gesetz nicht in Teilen gegen EU-Recht verstößt. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) warnt vor einer nie dagewesenen Insolvenzwelle und fordert, das Projekt zunächst auf seine Praxistauglichkeit zu prüfen. Doch Lauterbach und seine Ampel-Kollegen ficht das alles nicht an. Die Kritik stößt im Bundeskabinett auf eine Mauer der Ignoranz. Ungeachtet aller Bedenken hat es das seit Jahrzehnten umstrittenste gesundheitspolitische Vorhaben auf die parlamentarische Reise geschickt. Dabei sieht diese Reform eher wie ein Diktat aus. Die erste Lesung soll noch vor der Sommerpause des Bundestages beginnen.
Das „Strucksche Gesetz“ gilt auch für die Klinikreform
Dabei könnten die Ampelkoalitionäre freilich bereuen, dass sie auf Betreiben ihres übereifrigen Gesundheitsministers wieder einmal eine Rechnung ohne den Wirt gemacht haben. Das Wärmepumpen-Desaster lässt grüßen. Für den KHVVG-Entwurf gilt jedenfalls, was für alle Gesetzesvorhaben gilt – nämlich das nach dem einstigen Bundesverteidigungsminister und Fraktionsvorsitzenden der SPD, Peter Struck, benannte „erste Strucksche Gesetz“. Es lautet: „Kein Gesetz kommt aus dem Parlament so heraus, wie es eingebracht worden ist.“ Mit anderen Worten: Was von Lauterbachs Entwurf übrig bleibt, welche Streichungen, Änderungen und/oder Ergänzungen es geben wird, bevor man schließlich abstimmt, ist noch nicht vollständig zu überblicken.
Ampel-Abgeordnete sollten den Entwurf kritisch prüfen
Zu hoffen ist, dass sich auch die Abgeordneten der Ampelfraktionen ernsthaft mit der Kritik an dem Gesetz auseinandersetzen und erkennen, dass das KHVVG in der vorgelegten Form unter anderem zu einem Übermaß an lähmender zentralstaatlicher Regulierung führen würde und dass die Finanzierung des Projekts weitgehend ungewiss ist. Zudem muss wohl mit Verfassungsklagen von Bundesländern, Krankenkassen und niedergelassenen Ärzten gerechnet werden.
Bundesrechnungshof sieht Risiken
Dieses Risiko sieht man auch beim Bundesrechnungshof, der sich für einen vernünftigen Umgang mit dem Geld von Steuer- und Beitragszahlern einsetzt. Kay Scheller, der Präsident des Bundesrechnungshofes, demonstrierte ein interessantes Gefühl für Timing, als er am 15. Mai – dem Tag, an dem das Kabinett Lauterbachs Projekt abnickte – ein Gutachten zum KHVVG-Entwurf veröffentlichen ließ. „Die 26 Seiten lesen sich wie eine detaillierte Abrechnung mit den Plänen des SPD-Ministers“, schrieb dazu der Berliner „Tagesspiegel“.
Beitragszahler sollen geschröpft werden – Warnung vor steigender Abgabenlast
Vor allem kritisiert der Bundesrechnungshof, wie Lauterbach den geplanten Umbau der Klinikstandorte finanzieren will. Dafür soll es einen sogenannten Transformationsfonds geben, über den ab 2026 für zehn Jahre insgesamt 50 Milliarden Euro fließen sollen. Niemand weiß, ob das Geld wirklich reichen würde, aber woher es kommen soll, ist nun klar: Jeweils zur Hälfte von den Ländern und der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Vor allem die Kassen laufen Sturm dagegen. Sie werden von der Wirtschaft unterstützt. Denn die Milliarden könnte die GKV nur aufbringen, wenn sie ihre Beitragszahler zur Kasse bittet. Damit würde zwangsläufig die Abgabenlast in der Bundesrepublik weiter nach oben geschraubt werden, worunter die Versicherten ebenso wie die Unternehmen zu leiden hätten. Eine Beitragslawine hätte verheerende Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland, der bereits jetzt unter rekordhohen Sozialabgaben und -ausgaben ächzt. Deutschlands internationale Wettbewerbsfähigkeit würde weiter sinken.
Rechtliche Zweifel an der Zulässigkeit
Es bestünden „rechtliche Zweifel an der Zulässigkeit“, heißt es im Gutachten des Bundesrechnungshofes. Verwiesen wird darauf, dass die gesetzlichen Krankenkassen nur für Behandlungskosten – also für die laufenden Kosten von Krankenhäusern – zuständig seien. Die Übernahme von Investitionskosten hingegen ist bekanntlich Sache der Länder. Dass viele von ihnen dieser Pflicht nicht in erforderlichem Umfang nachkommen, beklagt die DKG seit Jahren. Hinzu kommt nun aber noch, dass Lauterbach die Länder massiv verprellt hat, indem er den Gesetzestext so gestaltete, dass er nicht mehr vom Bundesrat bestätigt werden müsste. Zumindest nach der juristischen Deutung des BMG. Klagen dagegen sind absehbar. Am Ende könnte sich der Gesetzentwurf in der jetzigen Form tatsächlich als verfassungswidrig erweisen und von den obersten Richtern unseres Landes gekippt werden.
Auf die Praxistauglichkeit kommt es an
Das wäre ein Desaster, denn selbst die schärfsten Kritiker bestreiten keineswegs die grundsätzliche Notwendigkeit einer umfangreichen Modernisierung der Krankenhausstrukturen in Deutschland. Sie sind zu teuer und nicht effektiv genug. Es geht also nicht darum, ob Deutschland eine Klinikreform braucht, sondern um die Frage, wie diese so gestaltet werden kann, dass es nicht zu einer „Verschlimmbesserung“ der Lage kommt. Dass diese Gefahr besteht, machen die kritischen Reaktionen auf die Verabschiedung des KHVVG-Entwurfs durch das Ampelkabinett deutlich. Alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages sollte sich also ihre hohen Verantwortung gegenüber den Patientinnen und Patienten vollkommen bewusst sein, wenn sie über das Vorhaben abstimmen. Und ihr Votum sollte auf sachlichen Abwägungen basieren und nicht auf Parteiräson.
Späte Einsicht des Miterfinders der Fallpauschalen
Man kann dem Bundesgesundheitsminister ja durchaus zustimmen, wenn er sagt, Deutschland habe „nicht das ärztliche Personal und auch nicht das pflegerische Personal für 1700 Krankenhäuser“. Richtig ist auch, dass das System mit Pauschalen pro Behandlungsfall zu Fehlanreizen und damit zu erheblichen Fehlentwicklungen geführt hat. Eingeführt wurde es vor 20 Jahren unter maßgeblicher Mitwirkung eines SPD-Gesundheitspolitikers namens Karl Lauterbach. Dass es nichts taugt, hat mittlerweile auch er verstanden. Einsicht, heißt es, sei der erste Schritt zur Besserung. Doch bevor ein neuer Weg beschritten wird, muss geprüft werden, wo er am Ende tatsächlich hinführt. So einleuchtend das sein sollte, so unverständlich ist, dass das BMG die Reform angeht, ohne mit Hilfe einer fundierten Auswirkungsanalyse die Folgen einer veränderten Krankenhausfinanzierung geprüft zu haben.
Graue Theorie statt realistischer Testlauf
Zu Recht kritisiert der DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß: „Im Blindflug in ein neues Finanzierungssystem zu starten, in dem sich dann rund 70 Milliarden Euro in veränderter Art und Weise auf die Krankenhäuser verteilen, ist ein unverantwortliches Vabanquespiel der Politik.“ Hinzu kommt, dass die Einteilung der Kliniken nach Leistungsgruppen, wie sie der Entwurf nun vorsieht, nicht mehr den zuvor in langem Ringen erreichten Bund-Länder-Einigungen entspricht. So lässt sich eine tatsächlich fallzahlunabhängige Strukturkostenfinanzierung, die zu den erklärten Reformzielen gehört, jedenfalls kaum erreichen.
Erhebliche negative Auswirkungen sind absehbar: „Die bisherigen Reformpläne bedrohen die Stabilität der Krankenhausversorgung in Deutschland“, sagte Gaß dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Wenn das Gesetz so umgesetzt wird, führt es zu langen Wartelisten, zu Fehlanreizen und zu mehr Bürokratie.“ Im Ampelkabinett scheint das allerdings niemanden zu bekümmern.
Patienten werden die Leidtragenden sein
Selten hat sich eine Bundesregierung derart über Sorgen und Befürchtungen so vieler unterschiedlicher Interessenvertreter hinweggesetzt. Unter ihnen ist auch Eugen Brysch, der Vorstand Deutsche Stiftung Patientenschutz. Er hatte der Ampel dringend davon abgeraten, das System der Krankenhäuser in Deutschland lediglich nach der Reißbrettlage zu verändern. Es brauche vielmehr eine praxistaugliche politische Strategie. Beim TV-Sender Phoenix forderte Brysch, die medizinische Versorgung im ländlichen Raum zu stärken anstatt weiter zu schwächen. Das aber wäre vielen Experten zufolge eine Folge der Lauterbach-„Revolution“. Sie befürchten unter anderem, dass vor allem Patientinnen und Patienten in den ländlichen Regionen Leidtragende sein werden.
Mögliche negative Folgen werden ignoriert
Dass die negativen Folgen weit über den ländlichen Raum hinausgehen würden, zeigte bereits Anfang 2023 ein simulierter Praxistest, der vom Institute for Health Care Business in Kooperation mit der auf Medizindaten spezialisierten Vebeto GmbH erarbeitet wurde. Auftraggeber war die DKG als bundesweite Interessenvertretung der Krankenhausträger – die von Lauterbach freilich gern als Lobbyverein dargestellt wird, mit dem man nicht reden muss. Das Ergebnis dieser Studie: Hunderte Krankenhäuser würden praktisch auf das Niveau von Ambulanzen herabsinken, die noch gerade so eine Erstversorgung leisten, aber keine medizinische Betreuung rund um die Uhr mehr bieten würden. Auf die Patienten kämen gravierende Folgen zu: So müssten der Analyse zufolge zum Beispiel mehr als 50 Prozent aller werdenden Mütter zufolge einen neuen Standort für die Geburt suchen. 56 Prozent der Patientinnen und Patienten in der interventionellen Kardiologie müssten in andere, teils erheblich weiter entfernte Krankenhäuser wechseln. In der Urologie wären es 47 und in der Neurologie 39 Prozent.
Wahrheit statt Heilsversprechen
Es mag ja sein, dass gravierende Auswirkungen in Kauf genommen werden müssen, wenn man das Kliniksystem zukunftsfähig und bezahlbar umgestalten will. Aber dann sollte man den Menschen auch klipp und klar sagen, was auf sie zukommt. Sie brauchen Wahrheit statt wolkiger Heilsversprechen. Sonst gibt es eines Tages ein böses Erwachen. Und dass die Verunsicherung der Bevölkerung durch die Regierenden gerade im sozialen Bereich Wasser auf die Mühlen rechts- und linksextremer Kräfte spült, dürfte inzwischen hinlänglich bekannt sein.
Großexperiment ohne Versorgungskonzept ist inakzeptabel
Nicht von ungefähr hat die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna, beklagt, die Krankenhausreform gleiche einem Etikettenschwindel. „Das ist nicht die Entlastung von ökonomischem Druck, die wir in den Krankenhäusern brauchen“, sagte sie nach Angaben des RND. „Es ist völlig inakzeptabel, dass ein solcher Großversuch ohne flächendeckendes Versorgungskonzept, ohne vorherige Bedarfsanalyse und ohne Folgenabschätzung auf den Weg gebracht werden soll.“ Auf nichts anderes läuft aber das KHVVG hinaus, wenn es den Bundestag tatsächlich ohne erhebliche Änderungen mit den Ampel-Stimmen passieren sollte.
„Herumdoktern“ am System ist keine nachhaltige Therapie
Dass Lauterbach längst dabei ist, sich mit einer kaum noch überschaubaren Zahl von geplanten Gesetzen und Gesetzesänderungen zu verzetteln und das große Ganze aus den Augen zu verlieren, wurde gerade erst auf dem 128. Ärztetag vielfach kritisiert. Ein solches „Herumdoktern“ am Gesundheitssystem, war in Mainz immer wieder zu hören, sei kein Ersatz für eine nachhaltige Strategie, die sich auf die wichtigsten Problemfelder konzentriert.
Eher wie ein Nebenschauplatz erschien hingegen der Vorschlag des Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, Patienten der GKV künftig mit einem Bonus von 100 Euro zu belohnen, wenn sie grundsätzlich einen Hausarzt als erste Anlaufstelle wählen und sich von dort an Fachärzte überweisen lassen. Das Argument: So könnten unnötige Arztbesuche und Kosten reduziert werden. In der Sache ist das nachvollziehbar. Neu ist das freilich nicht, denn eine solche hausarztzentrierte Versorgung wurde bereits 2004 mit dem GKV-Modernisierungsgesetz eingeführt.
Ein wichtiges Signal in Richtung Kanzleramt
Ein weit wichtigeres Signal ging vom Ärztetag in Richtung Bundeskanzleramt aus – die Forderung nach einem Gesundheitsgipfel. „Es ist völlig unverständlich, dass wir einen Chemie- und Autogipfel im Kanzleramt haben, aber keinen Gesundheitsgipfel“, sagte Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt unter Hinweis auf die Alterung der Gesellschaft. Die mit einer „Gesellschaft des langen Lebens“ verbundenen Herausforderungen für unser Gesundheits- und Sozialwesen – von der künftigen Finanzierbarkeit der Kranken- und Pflegeversicherung über die Absicherung der ambulanten haus- und fachärztlichen Versorgung bis hin zur Modernisierung der Krankenhausstrukturen – sind in der Tat gigantisch. Sie erfordern weit mehr als eine „Revolution“ à la Lauterbach. Deswegen hätten sie auch längst schon zur Chefsache erklärt werden müssen.
Der Autor: Frank Rudolph (Jahrgang 1960) ist mit dem deutschen Gesundheitswesen, insbesondere mit der Kalkulation und Abrechnung medizinischer Leistungen, seit vielen Jahren vertraut. Als Geschäftsführer des Bundesverbandes Verrechnungsstellen Gesundheit e.V. (BVVG) kennt er die Folgen gesundheitspolitischer Weichenstellungen in Bund und Ländern für die medizinische Versorgung der Bevölkerung – vor allem hinsichtlich des Verhältnisses von Kosten und Nutzen. Der in Essen geborene Betriebswirt ist Mitglied der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU. Von 2007 bis 2013 war Rudolph Mitglied der Bundeskommission Gesundheit. Seit 2007 ist er 1. Stellvertretender Vorsitzender des Gesundheitspolitischen Arbeitskreises der CDU NRW.
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