Offenbach am Main (ots) –
Prostatakrebs betrifft jeden 5. Mann. Damit gehört er zu den größten Gesundheitsbedrohungen unserer Zeit und trotzdem gibt es bisher keine Lösung für das Problem.
Das könnte sich nun ändern. Ein neues Behandlungsverfahren, entwickelt in der VITUS Privatklinik in Offenbach, nutzt das körpereigene Immunsystem zu Zerstörung von Krebszellen nicht nur in der Prostata, sondern im ganzen Körper. Ähnlich einer Impfung gegen das Coronavirus. Das kann die Bildung von Metastasen verhindern oder schon vorhandene Metastasen zerstören – und damit potentiell zu einer Heilung der Krebserkrankung führen.
Bekannt wurde die VITUS Privatklinik in Offenbach durch ihren medizinischen Direktor, Prof. Dr. mult. Michael K. Stehling, einen der führenden Experten für Prostatakrebs weltweit.
Warum etablierte Therapien bei Prostatakrebs meist versagen
Konventionelle Behandlungen, wie die chirurgische Entfernung der Prostata, sind meist unwirksam. Ja. Sie haben richtig verstanden. Nur einer von im Mittel 15 Männern, bei denen die Prostata entfernt wird, lebt durch die Behandlung länger – die anderen 14 operierten Männer leben, mit oder ohne Behandlung, gleich lang. Aber alle operierten Männer leiden unter mehr oder minder starken Nebenwirkungen wie Impotenz und Inkontinenz. So zu lesen in der S3-Leitlinie Prostatakrebs der Deutschen Gesellschaft für Urologie.
Warum ist das so? Krebszellen sind mobil. Schon sehr früh in der Entwicklung eines Prostatakarzinoms, wenn dieses die Größe eines kleinen Salzkornes hat, entwickeln sich Gefäße im Tumor – so versorgt sich der Tumor mit Nährstoffen. Und sobald dies geschehen ist, kriechen Tumorzellen aktiv in die Gefäße und werden vom Blutstrom weggeschwemmt – und über das Gefäßsystem im ganzen Körper verteilt (siehe Abbildung 1). Wenn sie die Blutgefäße verlassen bilden sie Mikrometastasen, kleine Tumorzellhaufen, die viel zu klein sind, um mit bildgebenden Methoden wie MRT (Magnetresonanztomographie) oder PET (Positronenemissionstomographie) nachgewiesen zu werden.
In den Mikrometastasen können Tumorzellen für Jahre und ggf. Jahrzehnte überleben, lange nachdem der Primärtumor, aus dem sie stammen, entfernt wurde. Nach vielen Jahren des „Winterschlafs“ können die Mikrometastasen dann plötzlich zu gefährlichen und letztendlich tödlichen Makrometastasen heranwachsen. Auslöser dieses Wachstumsschubes können genetische Veränderungen in den Tumorzellen, eine Schwäche des Immunsystems aber auch metabolische und hormonelle Reize sein.
Erfolgreiche Behandlung muss Metastasenbildung vermeiden
90% aller Krebspatienten versterben an Metastasen, Absiedelungen des Primärtumors in Lymphknoten, Knochen und Organen. Die alleinige Behandlung des Primärtumors löst das Problem Krebs also nicht. Denn die Grundlage für die letztendlich tödlichen Metastasen ist zum Zeitpunkt der Entfernung des Primärtumors schon gelegt.
Bei Prostatakrebs wird diesem Problem meist keine Aufmerksamkeit geschenkt. Nach der Diagnosestellung fokussieren sich alle Maßnahmen auf die Behandlung des Primärtumors in der Prostata. Fällt der PSA-Wert (Prostataspezifisches Antigen) – der am häufigsten benutzte Tumormarker bei Prostatakrebs – nach der Entfernung der Prostata oder einer Strahlentherapie auf null, gilt der Patient als geheilt. Weitere Maßnahmen, wie z.B. eine antihormonelle Therapie (chemische Kastration), werden allenfalls bei aggressiven Tumoren empfohlen. Diese unterdrückt das Wachstum von Tumorzellen, zerstört sie jedoch nicht. Die Bildung von Metastasen wird lediglich verzögert, im Mittel um 2 – 3 Jahre. Der Preis dafür: Impotenz, Energielosigkeit, Brustwachstum, Muskelschwund und Depression, um nur einige zu nennen.
Das Immunsystem kann Tumorzellen im ganzen Körper zerstören und Metastasen verhindern
Die Lösung für das Problem Krebs trägt jeder Patient in sich: Das körpereigene Immunsystem wurde von der Natur geschaffen, um Bakterien, Viren aber eben auch Tumorzellen zu eliminieren. Immunzellen erkennen Tumorzellen anhand von Molekülen an deren Oberfläche, sogenannten Tumorantigenen. Kommt das Immunsystem mit diesen in Kontakt, wird es alarmiert und bildet Immunzellen, die die Tumorzellen abtöten.
Allerdings können die Tumorzellen den Kontakt mit dem Immunsystem vermeiden, indem sie sich ein Umfeld schaffen, in dem sie unentdeckt bleiben. Man spricht von kalten, immunologischen inaktiven Tumoren – dazu gehört das Prostatakarzinom.
Schafft es das Immunsystem dennoch, den Tumor zu erkennen, kann sich dieser aktiv gegen die angreifenden Immunzellen wehren, indem er den Immunzellen signalisiert, dass sie ihre Attacke abbrechen sollen. Das geschieht über sogenannte Immuncheckpoints. Eine Art von Fake-News der Tumorzellen, die signalisieren, sie seien doch eigentlich ungefährliche normale Zellen.
Behandlungen, die dem Immunsystem helfen, den Tumor zu erkennen und solche, die Immunzellen gegen die Fake-News der Tumorzellen taub machen, sind geeignet, den Krebs zu heilen.
Moderne Tumor-Ablationsverfahren wie IRE machen Tumore sichtbar
Wie gelingt es Tumore, die sich vor dem Immunsystem verstecken können – wie z.B. das Prostatakarzinom – gegenüber dem Immunsystem sichtbar zu machen? Durch die Freisetzung der Tumorantigene, die sich auf und in den Tumorzellen befinden. Das gelingt, wenn die Tumorzellen im Körper auf schonende Weise zerstört werden. Die chirurgische Entfernung des Tumors ist dazu ungeeignet, da bei der OP auch die Tumorantigene aus dem Körper entfernt werden. Auch Therapien, die Hitze einsetzen, um den Tumor zu zerstören, wie HiFU (High-intensity Focused Ultrasound) und Laserablation, etc., sind dazu ungeeignet. Denn sie zerstören die hitzeempfindlichen Moleküle der Tumorantigene gleich mit.
Behandlungstechniken, die Tumorzellen ohne Hitze innerhalb des Körpers zerstören, hingegen, sind ideal dafür geeignet, Tumorantigene freizusetzen und das Immunsystem zu alarmieren. Die freigesetzten Tumorantigene wirken dabei wie eine interne Impfung. Ähnlich einer klassischen Impfung, wie z.B. gegen das Coronavirus, nur dass dabei die Antigene des Virus von außen unter die Haut gespritzt werden.
Besonders wirksam haben sich dabei sogenannte Elektroporationsverfahren erwiesen. Diese zerstören Zellen durch Porenbildung in der Zellmembran – völlig ohne Hitze. Das bekannteste Elektroporationsverfahren ist die Irreversible Elektroporation (IRE). Aber auch andere nicht-thermische Ablationsverfahren wie die Elektrochemotherapie (ECT) und die Photodynamische Therapie (PDT) aktivieren das Immunsystem durch Freisetzung von Tumorantigenen. Beobachtet werden kann die Immunstimulation an unbehandelten Tumoranteilen, wie z.B. Metastasen, die nach der Behandlung des Primärtumors ebenfalls kleiner werden. Diese Fernwirkung der Behandlung wird als „abskopaler“ Effekt bezeichnet.
Verstärkung des abskopalen Immuneffekts durch Immuntherapie
Sobald das Immunsystem den Tumor erkannt hat, wird er durch Immunzellen angegriffen. In dieser Phase gilt es zu verhindern, dass die Tumorzellen die Attacke stoppen, indem sie den Immunzellen suggerieren, dass sie gar keine Krebszellen sind.
Die Kommunikation zwischen Tumor- und Immunzelle erfolgt über bestimmte Moleküle, für die Immunzellen Rezeptoren haben, quasi ein Ohr, mit dem sie verstehen kann, was die Tumorzelle sagt.
Immuntherapeutika, auch Checkpoint Inhibitoren genannt, funktionieren wie Ohrenstöpsel: Sie blockieren die Rezeptoren der Immunzellen, so dass sie die Aufforderung der Tumorzellen, ihre Attacke abzubrechen, nicht mehr hören können.
Auf diese Weise kann durch die Infusion von Immuntherapeutika die Immunreaktion maximiert werden und das Immunsystem auch größere Tumormassen aus dem Körper entfernen.
Priming: Immunmodulation durch direkte Injektion in den Tumor
Eine zusätzliche Steigerung der Wirksamkeit von abskopaler Therapie und Immuntherapie kann durch ein sogenanntes „Priming“ erzielt werden. Dazu kann es sinnvoll sein, vor dem Beginn der eigentlichen Therapie bestimmte Immun- und Chemotherapeutika direkt in den Tumor zu injizieren. Das erfolgt mit hoher Präzision durch Steuerung mit Ultraschall oder CT (Computertomographie). Dazu werden nur geringe Mengen der entsprechenden Medikamente benötigt, da im relativ kleinen Tumorvolumen schnell hohe Konzentrationen erreicht werden, ohne dass Nebenwirkungen im Körper auftreten.
Diese injizierten Substanzen verändern die Auseinandersetzung zwischen Tumorzellen und Immunzellen direkt im Tumor. Kleine Mengen an Chemotherapeutika wie Docetaxel können dabei bestimmte Immunzellen töten, die einen hemmenden Effekt auf die Immunreaktion haben. Checkpoint Inhibitoren können die Immunreaktion verstärken.
Zusammenfassung
Die Behandlung von Tumoren mit Ablationsverfahren wie der IRE in Kombination mit Immuntherapie hat das Potential, Krebserkrankungen wirksamer als bisher zu behandeln, mit deutlich geringeren Nebenwirkungen. Die Vermeidung von Metastasen ist dabei das primäre Ziel, denn 90% aller Krebspatienten sterben an Metastasen und nicht durch den Primärtumor.
Im Gegensatz zur chirurgischen Entfernung von Tumoren erweist sich die Tumorablation mit Elektroporationsverfahren als weniger nebenwirkungsreich, was insbesondere im Bereich der Prostata eine große Rolle spielt: Impotenz und Inkontinenz können fast durchgehend vermieden werden. Gleichzeitig erweisen sich diese Verfahren durch die begleitenden abskopalen Effekte auch zunehmend wirksamer als chirurgische Verfahren.
Wie problematisch Metastasen sind, zeigt zurzeit das Schicksal des berühmten deutschen Musikers Ralph Siegel. Immuntherapie kann auch in solch fortgeschrittenen Stadien von Prostatakrebs dem Tumor Paroli bieten.
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