Olpe (ots) –
Jedes Jahr am letzten Tag im Februar ist der „Internationale Tag der seltenen Erkrankungen“, der für die Bedürfnisse und Schwierigkeiten Betroffener sensibilisieren soll. Weltweit leiden rund 300 Millionen Menschen an einer von über 8.000 als selten eingestuften Erkrankung. „Menschen mit seltenen Erkrankungen haben es schwer auf ihrem Weg zur Diagnose und nur selten gibt es danach eine geeignete Therapie. Mentale Unterstützung und Menschen, die auf dem Weg ein Stück mitgehen und einen begleiten, sind ein Geschenk“, sagt Sandra J. Ihr Sohn Eric hat eine seltene neurologische Entwicklungsstörung, die durch eine Genmutation verursacht wird und erst seit 2014 bekannt ist. Das PURA-Syndrom gibt es laut der PURA Syndrom Foundation nur rund 475 Mal – weltweit.
Jahrelang ohne Diagnose
Viele Jahre lang musste Familie J. ohne eine Antwort, ohne eine genaue Diagnose leben. Dabei hatte Mutter Sandra von Anfang an das Gefühl, dass etwas nicht stimmt: „Eric war nach seiner Geburt wegen muskulärer Hypotonie und Trinkschwäche viereinhalb Wochen auf der Säuglingsintensivstation. In den darauffolgenden Monaten fing der Diagnosemarathon an, da Eric sich kaum weiterentwickelte und die fehlende Muskelspannung sehr ausgeprägt war. Es folgten mehrere genetische Untersuchungen, eine Muskelbiopsie sowie neurologische Untersuchungen, die zwar auffällig waren, aber nicht zu einer Diagnose führten.“ Die Zeit, in der die Familie nicht wusste, welche Erkrankung ihr Sohn hat, war kräftezehrend. Mitanzusehen, dass ihr Sohn keine Fortschritte machte, so wie die anderen Kinder in der Krabbelgruppe, tat weh. Die Eltern gaben trotzdem nicht auf, organisierten Physio- und Schwimmtherapie, förderten die motorischen, kognitiven und sozialen Fähigkeiten und nahmen an einer Trainings-Reha der Uniklinik Köln teil, wovon Eric enorm profitierte. Erst mit sieben Jahren konnte bei einer weiteren genetischen Untersuchung festgestellt werden, warum er unter Entwicklungs- und Wahrnehmungsstörungen sowie Epilepsie leidet. In dem Moment, als der Arzt die Symptome des seltenen Syndroms vorlas, ging den Eltern durch den Kopf: „DAS ist Eric. Endlich bekommen wir eine Antwort.“ Seit der Diagnose der Erkrankung vor einem halben Jahr hat Familie J. Kontakt zu anderen „PURA-Familien“, zumeist per Videokonferenz. In Deutschland sind es fünfzehn Familien, die sich untereinander austauschen. Durch die Corona-Pandemie sind die Kontakte von Familie J. zusätzlich sehr eingeschränkt. Aus Angst vor einer Ansteckung können auch alltägliche Dinge wie der Einkauf im Supermarkt nicht mehr gemeinsam erledigt werden und so ist die Familie froh über den virtuellen Austausch mit Familien, die mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben.
Auszeit und Entlastung
Der Alltag mit einem schwerstkranken Kind ist schon früh morgens getaktet. 05.45 Uhr aufstehen, Frühstück vorbereiten, um 06.30 Uhr Eric wecken, im Pflegebett waschen und anziehen, Essen und Trinken anreichen. Um 07.15 Uhr kommt das Taxi, das Eric in die Förderschule bringt. Am Unterricht kann er jedoch nur teilnehmen, wenn er von einer integrativen Schulbegleitung Hilfe erhält. Durch den Personalmangel ist das im Moment nicht immer so möglich, wie es Eric zustehen würde. Der Stundenumfang ist relativ hoch, ebenso wie die Verantwortung, ein schwerstkrankes Kind im Unterricht zu versorgen. Auch die zuständige Beratungsstelle weiß keine Lösung. „Da er sehr gerne in die Schule geht und es seine einzige soziale Teilhabe ist, macht es uns traurig, nichts an der Situation verbessern zu können“, so Mutter Sandra.
Von einer anderen betroffenen Familie hörte Familie J. vom Kinder- und Jugendhospiz Balthasar. Um Familien mit einem schwerkranken Kind zu entlasten und Auszeiten zu schaffen, wurde 1998 in Olpe das deutschlandweit erste Kinder- und Jugendhospiz eröffnet. Die verbleibende Zeit soll von allen so schön und intensiv wie möglich erlebt werden – nicht nur in der letzten Lebensphase, sondern schon ab der Diagnose. Auch wenn der Schritt am Anfang schwer fiel, genießt Familie J. die Aufenthalte sehr. „Vor allem der Austausch mit anderen betroffenen Familien tut gut, weil wir uns hier nicht erklären müssen. Eric wird so angenommen wie er ist und wir Eltern können Kraft tanken für den Alltag zu Hause. Im Alltag sind wir mehr Team für und um Eric. Wir fühlen uns im Kinderhospiz sehr wohl und es fällt, dank dem herzlichen Team, leicht, die Pflege abzugeben.“ Auch die vielfältigen Angebote tun Eric gut. Er liebt es, mit der Musiktherapeutin zu musizieren, Ausflüge mit den anderen Kindern und Mitarbeitenden zu unternehmen und vorgelesen zu bekommen. Eric ist ein zufriedenes Kind.
Was die Gesellschaft tun kann
Familie J. wünscht sich vor allem mehr Offenheit und Interesse von den Menschen, denn noch immer gibt es häufig Vorurteile und Barrieren. Als die Erkrankung von Eric noch nicht bekannt war, mussten sich die Eltern von Desinteresse bis hin zu gut gemeinten Ratschlägen „Warum wisst ihr nicht, was er hat? Wart ihr noch nicht beim Arzt?“ vieles gefallen lassen, denn sie haben sich nie versteckt. Auch die bürokratischen Hürden sind häufig unheimlich hoch. Die Beantragung von Hilfsmitteln erfordert Zeit und Geduld, vor allem wenn diese so dringend benötigten Mittel abgelehnt werden. Das frustriert und führt Betroffenen immer wieder vor Augen, dass sie in der Gesellschaft am Rande stehen. „Wir mussten und müssen uns vieles selbst erkämpfen. Ich kenne keine Familie, die aus Spaß ein Pflegebett für ihr Kind beantragen würde. Die zuständigen Stellen sollten sich der Verantwortung bewusster sein, die sie gegenüber betroffenen Familien haben und darüber nachdenken, was eine Ablehnung eines solches Antrages bedeutet.“ Trotz der zahlreichen Hürden und Probleme bleibt Familie J. positiv. Sie wissen, dass ihr Glück zwar anders aussieht, aber trotzdem Glück ist. „Ja, es ist schrecklich, wenn das eigene Kind krank ist. Und ja, in ein Hospiz zu gehen ist nicht das, was man sich vorgestellt hat. Aber wir sind durch Erics Erkrankung Menschen begegnet, die uns unheimlich bereichert haben und uns gestärkt haben. Wir haben Stärken an uns selbst entdeckt, die wir sonst vielleicht nie entdeckt hätten.“
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Quelle: ots