Heinrich-Wieland-Preis 2022: Moleküle bei der Arbeit beobachten – von einzelnen Zellen bis zum Organ

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Mainz (ots) –

Xiaowei Zhuang von der amerikanischen Harvard Universität erhält den diesjährigen Heinrich-Wieland-Preis der Boehringer Ingelheim Stiftung in Höhe von 100.000 Euro für ihre brillanten bildgebenden Verfahren, mit denen sie bahnbrechende Entdeckungen in der Zell- und Neurobiologie gemacht hat. Ihre Methode STORM zeigt uns in lebenden Zellen Strukturen von nur 100 Atomen Breite und MERFISH, wo genau in einer Zelle welche Gene aktiv sind, und das für bis zu 10.000 Gene gleichzeitig. In den letzten 16 Jahren haben Zhuang und andere Forschende weltweit mit diesen Methoden bereits wertvolle Einsichten in komplexe biologische Vorgänge erzielt.

Zhuangs Erfindung STORM – kurz für STochastische Optische Rekonstruktions-Mikroskopie – ist eines der ersten Verfahren in der Lichtmikroskopie, welches die sogenannte Beugungsgrenze des Lichts umgeht. Zwar gab es auch schon vorher Methoden, die deutlich unter dieser Grenze arbeiten können, wie die Elektronenmikroskopie. Allerdings kann man damit – im Gegensatz zur Lichtmikroskopie – keine lebenden, intakten Zellen oder Gewebe untersuchen. Mit konventionellen Lichtmikroskopen kann man Strukturen von einer Größe von 200 Nanometern (nm) sichtbar machen – das entspricht einem Fünftel Mikrometer oder der Größe eines Grippevirus. Das super-auflösende Verfahren STORM hingegen zeigt Strukturen von nur zehn Nanometern, so groß wie hundert aufgereihte Atome oder ein durchschnittliches Protein. STORM ermöglicht es daher, einzelne Proteine zu beobachten, wie sie im dicht gepackten Inneren von lebenden Zellen ihren Aufgaben nachgehen.

Eine der spannendsten Entdeckungen der super-auflösenden Mikroskopie

„Was die Errungenschaften von Xiaowei Zhuang so einzigartig macht, ist, dass sie nicht nur brillante Technologien entwickelt hat, sondern diese selbst genutzt und Entdeckungen in der Zell- und Neurobiologie gemacht hat, die die Lehrbücher verändern werden“, sagt F.-Ulrich Hartl, der Vorsitzende des Auswahlkomitees für den Heinrich-Wieland-Preis. „So hat sie zum Beispiel in Nervenzellen einen neuen Teil des Zellskeletts entdeckt, dessen Existenz niemand bis dahin auch nur vermutete. Heute wissen wir, dass er in den Gehirnen von so unterschiedlichen Wesen wie Fadenwürmern und Menschen vorkommt.“ Die Struktur ähnelt einem Gitterkäfig. Sie stabilisiert besonders die langen Fortsätze der Nervenzellen und ist wichtig für die Weiterleitung von Signalen. „Diese bemerkenswerte Struktur ist sicherlich eine der aufsehenerregendsten Entdeckungen, die bisher mit super-auflösenden Mikroskopen gemacht wurden“, fügt Hartl hinzu.

Während man mit STORM eine kleine Anzahl verschiedener Moleküle bis ins Detail untersuchen kann, ermöglicht Zhuangs Methode MERFISH die Aktivität von mehr als 10.000 verschiedenen Genen in einer Zelle gleichzeitig abzubilden. (MERFISH steht für die englische Abkürzung von Mehrfach-Fehlerrobuste Fluoreszenz-In-Situ-Hybridisierung.) Mit dieser Methode kann man herausfinden, welche der vielen Gene in einem Augenblick in der Zelle aktiv sind, und das in Millionen von Einzelzellen eines Gewebes wie dem Gehirn.

Zhuang hat mit MERFISH Profile für die Aktivität einer Vielzahl von Genen im Gehirn erstellt. So entstand eine hochauflösende dreidimensionale Karte des Gehirns, die zeigt, wie verschiedene Typen von Nervenzellen räumlich und funktionell im Gehirn angeordnet sind. Dadurch entdeckte Zhuang Hunderte neuer Zelltypen und identifizierte markante Unterschiede zwischen Mäuse- und Menschengehirnen.

Sowohl STORM als auch MERFISH sind unschätzbar wertvolle Methoden für die Wissenschaft und werden weltweit bereits in vielen Forschungs- und Industrielaboren eingesetzt. So ist MERFISH zum Beispiel eine der Schlüsseltechnologien für den Human Cell Atlas, einer weltweiten Initiative mit dem Ziel, alle Zellen im menschlichen Körper zu kartieren und auf molekularer Ebene zu beschreiben. Auf dieser Grundlage hoffen die Forscherinnen und Forscher, den gesunden menschlichen Körper besser zu verstehen und so Krankheiten genauer diagnostizieren und gezielter behandeln zu können.

Xiaowei Zhuang selbst sagt über die Faszination ihrer Arbeit: „Es ist ein fantastisches Gefühl, die Moleküle in Zellen und Organen auf den wunderschönen Bildern zu sehen, die STORM und MERFISH erzeugen. Wenn diese Bilder zusätzlich etwas bisher noch nie Gesehenes enthüllen, dann verstärkt es dieses Gefühl noch.“

Xiaowei Zhuang wird den Heinrich-Wieland-Preis während einer feierlichen Zeremonie überreicht bekommen, die am 6. Oktober 2022 im Anschluss an ein wissenschaftliches Symposium im Schloss Nymphenburg in München stattfindet.

„Dank Xiaowei Zhuangs Entdeckungen können wir viel besser verstehen, wie Zellen und Organismen im gesunden Zustand arbeiten und was verkehrt läuft, wenn jemand krank wird“, sagt Christoph Boehringer, Vorsitzender des Vorstands der Boehringer Ingelheim Stiftung. „Wir sind sicher, dass die Wissenschaftsgemeinde und Zhuang selbst mit ihren fantastischen Methoden noch viele weitere bedeutende Entdeckungen machen werden.“

Professor Xiaowei Zhuang – die Biographie

Xiaowei Zhuang studierte Physik an der University of Science and Technology in Hefei in China und schloss 1996 ihre Promotion an der Universität im kalifornischen Berkeley ab. Im Anschluss arbeitete sie zunächst im Bereich Biophysik an der Universität in Stanford, bevor sie 2001 an die Harvard Universität wechselte. 2005 wurde sie zusätzlich zum Howard Hughes Medical Institute Investigator auserwählt. Seit 2006 ist sie Professorin an der Harvard Universität, wo sie den Titel David B. Arnold Professor of Science hält. Sie ist Mitglied mehrerer Wissenschaftsakademien, darunter der amerikanischen National Academy of Sciences, der National Academy of Medicine und der American Academy of Arts and Sciences. Sie erhielt zahlreiche Preise, wie ein MacArthur-Fellowship, den Heineken-Preis für Biochemie und Biophysik, den Breakthrough-Preis in Lebenswissenschaften, den Vilcek-Preis in Biomedizin und den FNIH Lurie-Preis in Biomedizin.

Heinrich-Wieland-Preis – die Auszeichnung

Mit dem Heinrich-Wieland-Preis zeichnet die Boehringer Ingelheim Stiftung weltweit herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für ihre bahnbrechende Forschung zur Chemie, Biochemie und Physiologie biologisch aktiver Moleküle und Systeme sowie deren klinische Bedeutung aus. Der mit 100.000 Euro dotierte Preis ist nach dem Chemiker und Nobelpreisträger Heinrich Otto Wieland (1877-1957) benannt und wird seit 1964 jährlich vergeben. Unter seinen Laureaten, die von einem wissenschaftlichen Kuratorium ausgewählt werden, sind vier spätere Nobelpreisträger. Seit 2011 wird der Preis von der Boehringer Ingelheim Stiftung dotiert.

www.heinrich-wieland-prize.de

Boehringer Ingelheim Stiftung – der Stifter

Die Boehringer Ingelheim Stiftung ist eine rechtlich selbstständige, gemeinnützige Stiftung und fördert die medizinische, biologische, chemische und pharmazeutische Wissenschaft. Errichtet wurde sie 1977 von Hubertus Liebrecht, einem Mitglied der Gesellschafterfamilie des Unternehmens Boehringer Ingelheim. Mit ihren Förderprogrammen Plus 3, Exploration Grants und Rise up! unterstützt sie exzellente Forschende in entscheidenden Karrierephasen. Außerdem dotiert sie den internationalen Heinrich-Wieland-Preis sowie Preise für Nachwuchswissenschaftler und fördert institutionelle Projekte wie beispielsweise das Institut für Molekulare Biologie (IMB) und die Lebenswissenschaften an der Universität Mainz oder auch das European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg.

www.boehringer-ingelheim-stiftung.de

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Quelle: ots