München (ots) –
Rund zwei Drittel aller Geflüchteten, die nach Deutschland kommen, haben laut Bundespsychotherapeutenkammer eine psychische Erkrankung. Gelungene Integration heißt auch, diesen Menschen eine Chance zu geben, psychisch gesund zu werden. Daher ist auch für Geflüchtete und Migrant:innen eine gute und auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene psychosoziale Versorgung notwendig. Ärzt:innen, Psychotherapeut:innen und weiteren im psychosozialen Bereich Mitarbeitenden den Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen zu vermitteln, sollte endlich Standard werden. Nicht nur Geflüchtete und Asylsuchende benötigen Unterstützung: Rund ein Viertel der deutschen Gesellschaft hat Migrationshintergrund. Diese interkulturellen Einflüsse wertzuschätzen und zur Verbesserung der Heilungschancen der betroffenen Gruppen explizit in der Psychotherapie zu berücksichtigen, muss ermöglicht werden.
Situation und Unterstützungsangebote für Flüchtlinge und Asylbewerber
Eine Flucht aus der Heimat nehmen Menschen nur in Kauf, um Krieg, Gewalt, Folter, Misshandlungen oder Verfolgung zu entgehen. Unterwegs kommen oft weitere traumatische Ereignisse hinzu. Im sicheren Land angekommen, liegt all das auf der Seele. Hinzu kommen Einschränkungen im Asylsystem und in Flüchtlingsunterkünften. Auch der Kontakt zu den Zurückgelassenen kann sehr belastend sein.
Das deutsche Psychotherapie-System weist hohe Barrieren für diese Gruppen auf: Das sind Sprache oder Anträge samt notwendigen Bewilligungen. Die Erkrankungen werden seltener erkannt, damit oft spät oder gar nicht behandelt. Chronische Folgen entstehen oder eine rein medikamentöse Behandlung hilft der Seele nicht vollends. Neben einer Verbesserung des Systems ist auch eine adäquate Ausbildung von Therapeut:innen und Ärzt:innen nötig. Sie für kulturelle, ethnische und religiöse Aspekte sowie andere Wertesysteme zu sensibilisieren, erleichtert den Zugang zu den angekommenen Hilfesuchenden.
Der bundesdeutsche „Integrationsplan Migration“ aus dem Jahr 2010 hat es sich zum Ziel gesetzt, all dem zu begegnen. Das allein reicht noch nicht. Notwendig wäre die Einführung eines psychotherapeutisches Screenings kurz nach Ankunft sowie aktive präventive und akute Maßnahmen für die Migrant:innen. Auch die Information und bessere Ausbildung der Mitarbeiterschaft in Flüchtlings- und Asylaufnahmestellen wäre ein Schlüssel. Verschiedene Informationsmaterialien in mehreren Sprachen sollten bereitgestellt werden.
Das oft zu lange dauernde Asylverfahren erschwert die Integration und Stabilisierung der Betroffenen. Zwar gibt es inzwischen 47 Psychosoziale Zentren unter dem Dachverband Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge und Folteropfer (BafF), die rund 20.000 Menschen betreuen können. Weitere 10.000 bleiben unversorgt. Therapien für Asylbewerber können in den ersten 18 Monaten nur vom Sozialamt bewilligt werden. Das geschieht viel zu zurückhaltend und ist kaum bekannt. Anträge werden sehr oft abgelehnt. Ab dem 19. Monat treten die Angekommenen in die allgemeine medizinische Versorgung ein.
Die so genannte „Ermächtigungsregelung“ aus dem Jahr 2015 ermöglicht es psychologischen oder ärztlichen Psychotherapeut:innen ohne Kassensitz, den genannten Hilfebedürftigen in dieser Phase therapeutische Unterstützung anbieten zu dürfen. Wenn eine Aufenthaltserlaubnis erteilt oder eine versicherungspflichtige Arbeit aufgenommen wird, sind nur noch Kassenleistungen möglich.
Sonderregelungen für Geflüchtete aus der Ukraine
Geflüchtete aus der Ukraine müssen kein Asylverfahren durchlaufen und erhalten sofort eine befristete Aufenthaltsgenehmigung. Zunächst galt die Regelung, dass sie Ansprüche auf eine medizinische Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz haben. Seit dem 1. Juni 2022 haben hilfebedürftige Geflüchtete ohne Einkommen oder finanzielle Reserven, die beim Jobcenter als arbeitssuchend gemeldet sind, Anspruch auf die gleichen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung wie Deutsche. Nicht hilfebedürftige Geflüchtete haben das Recht, der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig beizutreten.
Ukrainische Geflüchtete, die Sozialhilfe beziehen, sind nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert. Sie erhalten aber eine Krankenversichertenkarte und können den Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nehmen. Die Kosten werden dabei vom Sozialamt übernommen.
Benötigte Kompetenzen und Ausbildung
Psychotherapeut:innen, die Geflüchtete und Migrant:innen behandeln, benötigen neben Fachwissen zu Traumata und Belastungsstörungen weitreichende Kompetenzen. Diese beinhalten Wissen über basale Konzepte in interkultureller Psychotherapie, das Verständnis anderer Kulturen, Fremdheitserfahrungen im Alltag und bei der psychotherapeutischen Arbeit, eine kultursensible Diagnostik und die Arbeit mit Dolmetscher:innen.
Entsprechende Ausbildungsleitlinien und Trainings haben Arbeitsgruppen an der Humboldt-Universität zu Berlin und am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) entwickelt.
Aktuelle Forderungen
In einem gemeinsamen aktuellen Positionspapier fordern die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BafF) und die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), dass Sprachmittlung für fremdsprachige Patient:innen bei der medizinischen, psychotherapeutischen und psychosozialen Versorgung eine Leistung der Regelversorgung werden muss und die Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden sollten.
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