Hamburg (ots) –
Eine aktuelle Studie des VOCER Instituts für Digitale Resilienz (https://digitale-resilienz.org/)konstatiert einen „digitalen Overkill“ in der aktuellen Krise. Die Autoren der Studie „Digitale Resilienz in der Mediennutzung“ analysieren, inwiefern „qualifizierte Informationen von Nutzenden mitunter nicht erkannt oder mit ungeprüften Quellen verwechselt“ werden. Zudem stellt die Studie fest, dass psychische Belastungen durch die Krisen- und Kriegssituation verstärkt zutage treten. Ein zentrales Ergebnis: Viele Befragte sorgen sich angesichts von Krieg, Pandemie und Klima um ihre Zukunft, sind überfordert oder teilweise emotional ausgebrannt. Die qualitativen Befragungsergebnisse legen zudem nahe, wie angesichts von Desinformation, dem wachsenden Suchtpotenzial und verwahrlosten Diskursen in sozialen Medien die Balance zwischen Online- und Offline-Welt gelingen kann. Die Autoren fordern eine „breite Diskussion über die Insuffizienz und Unzulänglichkeiten digitaler Mediennutzung“.
Pausenlose Push-Mitteilungen, polarisierende Debatten und Hass-Postings bei Facebook, Twitter, YouTube & Co., permanente Videokonferenzen und E-Mails am Wochenende sowie das apokalyptische Krisengeschehen in den Nachrichten: Wie es Mediennutzenden in diesen krisenschweren Zeiten ergeht und ob es ihnen gelingt, sich dem „digitalen Overkill“ zu entziehen und trotzdem auf dem Laufenden zu bleiben, untersucht die Studie „Digitale Resilienz in der Mediennutzung“ von Dr. Leif Kramp (ZeMKI, Universität Bremen) und Dr. Stephan Weichert (VOCER Institut für Digitale Resilienz, Hamburg). Anhand von qualitativen Leitfaden-Interviews und Medientagbüchern haben die renommierten Digitalexperten mehr als 50 ausgewählte Bundesbürger aus ganz Deutschland zu ihrer digitalen Mediennutzung befragt.
„Angesichts der Krisen- und Kriegssituation treiben diese Menschen Ängste und Sorgen um. Wir erkennen in ihrer digitalen Mediennutzung ein doppeltes Dilemma, das sich in ganz unterschiedlicher Ausprägung mit Begriffen wie News Avoidance, News Burnout und News Shaming beschreiben lässt“, sagt Medienwissenschaftler Dr. Stephan Weichert, der die Gespräche gemeinsam mit Dr. Leif Kramp geführt hat. Auf Nutzerseite wolle man einerseits robuster werden und sich vor digitaler Überlastung schützen, möchte aber trotzdem auf dem Laufenden bleiben. Journalistische Redaktionen hätten wiederum die Pflicht, „die Menschen über die Nachrichtenlage stetig zu informieren, möchten ihr Publikum aber nicht überlasten“.
Im alltäglichen Medienhandeln bedeutet das: „Digitale Medien können inspirieren und emotional erfüllend sein, aber auch Stress und psychisches Unwohlsein befördern. Dies zeigt sich in besorgniserregendem Maße gerade bei jüngeren Menschen, die ihren Alltag und ihre sozialen Bezüge zu wesentlichen Teilen digital vernetzt leben“, sagt Ko-Studienleiter Dr. Leif Kramp. „Wir haben mit Nutzerinnen und Nutzern gesprochen, die ihren Medienkonsum inzwischen auf ein Minimum reduziert haben und beispielsweise Nachrichten komplett meiden, um nicht andauernd mit Krisen und Problemen konfrontiert zu sein.“ Für redaktionelle Medien werde das zunehmend zum Problem, sagt Kramp: Das Nachrichten- und Informationsverhalten der Bevölkerung drifte teilweise in Richtung soziale Medien ab oder verlagere sich in private Messenger-Gruppen und Chat-Foren, wo Desinformation, Mutmaßungen und Fake News die Runde machten. „Dort werden gesicherte Informationen von Nutzenden mitunter nicht erkannt oder mit ungeprüften Quellen verwechselt“, so Kramp.
Die Befragten der Studie stammen aus allen Bundesländern, haben einen unterschiedlichen Bildungshintergrund und repräsentieren verschiedene Alters- und Zielgruppen. Sie wurden auf Basis der im Juli vorgelegten Repräsentativstudie des VOCER Instituts für Digitale Resilienz ausgewählt: In Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut Forsa waren knapp 1000 Personen in Deutschland ab 14 Jahren befragt worden, aus denen 60 Personen für eine Anschlussbefragung identifiziert und ausgewählt wurden. Die Intensivinterviews zur Nutzung digitaler Medien ermöglichen Einblicke in vielfältige Erschöpfungs- und Verarbeitungsmuster in Krisenzeiten: Neben psychischer Überlastung und Suchtverhalten durch digitalen Medienkonsum zeugen die Befragungsergebnisse auch von kreativen Bewältigungsstrategien. So versuchen viele Befragte, sich der ständigen Verfügbarkeit im Digitalen zu entziehen, indem sie Ruhepausen in der Natur einplanen, sich häufiger face-to-face mit Familie und Freunden austauschen, Aktivitäten in sozialen Netzwerken einschränken oder sich durch gezielte inhaltliche Selektion zu schützen versuchen.
Als positiv zu bewerten ist Kramp und Weichert zufolge, dass speziell journalistischen Online-Angeboten ein hoher Stellenwert eingeräumt und Vorteile in der professionellen Medienberichterstattung gesehen werden: „Im Journalismus erkennen viele Menschen die Funktion, konstruktive Diskurse anzuregen, neue Erkenntnisse über Themen zu liefern sowie die Mächtigen in Gesellschaft und Politik zu kontrollieren“, so die Studienautoren. Vor allem dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und dem Lokaljournalismus werde ein großes Vertrauen entgegengebracht. Gerade in Krisenzeiten würden sich viele der Befragten auf die angestammten Medienmarken wie „Tagesschau“ oder „Heute“ im Netz verlassen und ihnen eine überaus hohe Glaubwürdigkeit zuschreiben. Dieser Vertrauensvorsprung gelte insbesondere für die journalistischen Digitalangebote von öffentlich-rechtlichen Anstalten und regionalen Zeitungshäusern, so Kramp und Weichert.
Trotz des allgemein sehr hohen Zuspruchs journalistischer Angebote zeigt die Studie, dass digitale Medien unterschiedliche Stressoren verstärken: „Die Forschungen des VOCER Instituts für Digitale Resilienz geben viele profunde Hinweise auf die Resilienzstrategien von Mediennutzenden gegen digitale Stress-Trigger“, sagt Julia Rotherbl, Ko-Chefredakteurin der „Apotheken Umschau“, die im Wort & Bild Verlag, Kooperationspartner der Studie, erscheint. „Für die ‚Apotheken Umschau‘ als erste Anlaufstelle für Gesundheitsinformationen ist es zentral, dass gesundheitliche Aspekte der digitalen Gesellschaft mehr Beachtung finden und wir zur Aufklärung über die psychischen Risiken der Mediennutzung aufklären können, im besten Falle konkrete Hilfestellungen geben“, sagt Rotherbl.
Die Studienergebnisse würden damit auf die Notwendigkeit eines neuen Krisenbewusstseins hindeuten und zentrale Anhaltspunkte für wissenschaftlich fundierte Möglichkeiten zum Resilienzaufbau im Digitalen liefern. „Auch wenn viele Menschen digitale Medien schon jetzt selbstbestimmt nutzen, werden vor allem Hass und Hetze im Netz als Geißel der Digitalisierung gesehen, die in atemberaubendem Tempo eine gesamtgesellschaftliche Polarisierung vorantreibt“, schreiben Kramp und Weichert. Auf der Suche nach Lösungswegen rufen die Studienautoren deshalb zu einer „dringenden und vielschichtigen Debatte über die Insuffizienz und Unzulänglichkeiten digitaler Mediennutzung zum Wohle der Demokratie auf“.
Das VOCER Institut für Digitale Resilienz befasst sich mit den extremen Herausforderungen in Krisensituationen und befähigt Menschen, widerstandsfähiger zu werden. Das Institut begleitet Organisationen durch den digitalen Medienwandel. Im Fokus seines ganzheitlichen Bildungs- und Beratungsansatzes steht das Konzept der resilienten Organisation. Das Institut bietet Training und Beratung an, mit deren Hilfe Teilnehmende geschult werden und Strategien zur Verbesserung in Richtung einer resilienteren Unternehmenskultur erarbeiten.
VOCER hat sich als politisch unabhängige Organisation für Coaching, Beratung und Bildung etabliert. Der gemeinnützige Think & Do Tank bietet unterschiedliche Veranstaltungs- und Workshop-Formate an, unterhält eine Medienakademie für journalistische Weiterbildung, hat den namhaften #Netzwende Award für nachhaltige Medieninnovation ins Leben gerufen und führt regelmäßig Trend- und Grundlagenstudien sowie Beratungsprojekte durch. VOCER hat ein bundesweit aktives Netzwerk für Qualitätssicherung in der Digitalisierung geschaffen, das sich für Medienresilienz und nachhaltige Innovation in der digitalen Gesellschaft engagiert.
Zum Interview (https://www.apotheken-umschau.de/gesund-bleiben/psyche/wenn-der-bildschirm-auf-die-psyche-schlaegt-893189.html) mit Dr. Leif Kramp und Dr. Stephan Weichert auf apotheken-umschau.de.
Weitere Infos unter:
www.digitale-resilienz.org
Die gesamte Studie ist zu beziehen über:
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Dr. Stephan Weichert
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Quelle: ots